Neymar Jr. im Interview: „Können ist nicht alles“ (2024)

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Neymar Jr. im Interview: „Können ist nicht alles“ (3)

© Lucho Vidales

Fußball

Neymar jr. ist fünf Jahre jünger als Messi, sieben Jahre jünger als Ronaldo. Und der nächste beste Fußballer der Welt. Warum? Weil aus einemIndividualisten ein Teamplayer wurde.

Autor: Christian Eberle

6 min readveröffentlicht am

Neymar Jr. ist ein Jahrhunderttalent. Aus einfachen Verhältnissen stammend, war er in seiner HeimatBrasilien schon mit zwanzig ein Volksheld.

Dann wagte er den Schritt zum FC Barcelona – an die Seite von Superstars wie Messi, Xavi, Iniesta.

Neymar Jr. musste lernen, sich in ein Team einzufügen und taktische Vorgaben umzusetzen – und spielt heute besser denn je.

THE RED BULLETIN: Fünf Titel mit Barcelona im letzten Jahr, Platz 3 bei der Wahl zum Weltfußballer 2015: Wir sehen derzeit den besten Neymar Jr., den es je gab. Als Sie 2013 nach Barcelona gingen, trauten viele Ihnen diese Entwicklung nicht zu. Sie seien zu sehr Individualist, im Spielstil Messi zu ähnlich, zu sehr Brasilianer, nicht kompatibel mit Europas Fußball. Hatten Sie damals selbst gar keine Zweifel?

NEYMAR JR.: Ach, ich habe mein ganzes Leben lang Dinge gehört wie „Dieser Junge ist viel zu dünn, zu klein, der wird niemals ein Fußballer“. Ich bin Zweifel gewohnt.

Bedenken anderer lassen Sie kalt? Wirklich?

Es kommt darauf an, wie du damit umgehst. Natürlich können Zweifel weh tun. Aber sie können dich auch stärker machen. Sie können dich antreiben. Jemand traut dir etwas nicht zu? Zeig ihm, was du draufhast! Das ist doch eine tolle Motivation! Heute stehe ich hier, spiele für Barcelona, schreibe gemeinsam mit meinen Kollegen Geschichte. Also: Lass die Leute doch reden. Lass sie sagen, was sie wollen. Am Ende entscheidet, wie sehr du selbst an deinen Traum glaubst. Dass du hartnäckig bleibst, dass deine Familie hinter dir steht und dir Kraft gibt.

Schau dir Neymar Jr.s fünf beste Tore mit dem FC Barcelona an!

Aber an den Zweifeln war doch objektiv was dran: Messi und Sie sind ähnliche Spielertypen. Das heißt, Sie mussten Ihren Platz in der Mannschaft erst finden – auf Kreativität verzichten, auf den absoluten Führungsanspruch, auf spielerische Geniestreiche, also auf genau das, was Sie immer ausgemacht hatte.

Ich wollte diese Herausforderung, und ich wusste, worauf ich mich einlasse. Weil ich in Barcelona spielen wollte, mit Iniesta, mit meinem Idol Messi, der mich damals inspirierte und heute noch inspiriert. Natürlich ist es nicht einfach, sich hier durchzusetzen, das hat ja auchkeiner behauptet, aber genau das war doch der Reiz!

Was muss ich können, um mich als Neuling beim FC Barcelona durchzusetzen? Abgesehen davon, dass ich ziemlich gut Fußball spielen können müsste?

Sie haben recht, das allein reicht nicht. Sie brauchen auch Charakter. Es geht nicht nur darum, dass Barcelona eines der besten Teams der Welt ist. Es geht um die Art des Fußballs, der hier gespielt wird, ein Fußball, der vom Spiel lebt. Diese Art Fußball verlangt nach Persönlichkeiten auf dem Platz. Wenn Sie das verstanden haben, dann ist der Rest einfach.

Nun ja … jeder neue Spieler ist auch eine neue Konkurrenz für die Arrivierten. Niemand wird zu Ihnen gesagt haben: Herzlich willkommen, hier, bitte, übernimm meinen Platz im Team.

Sie können es mir glauben oder nicht, aber meine Eingewöhnungsphase war wunderbar. Große Spieler, mit vielen Meistertiteln, vielen Auszeichnungen, haben mich wirklich toll aufgenommen. Kein Konkurrenzkampf, im Gegenteil.

Ach, ich habe mein ganzes Leben lang Dinge gehört wie „Dieser Junge ist viel zu dünn, zu klein, der wird niemals ein Fußballer“. Ich bin Zweifel gewohnt.

Neymar Jr.

Und wie war Lionel Messi?

Ich erinnere mich ans erste Training. Plötzlich spielte da Messi neben mir, Xavi, Iniesta, Valdés, Piqué … ich habe mich gefühlt wie in einem Computerspiel und nur gedacht: „Wow, ich spiele echt mit all diesen Typen in einer Mannschaft!“ Daran muss man sich erst mal gewöhnen, klar. Aber es war entspannt. Vor allem mein Landsmann Dani Alves hat mir sehr geholfen. Und Messi war toll. Er hat mir den Rücken gestärkt. Man hat richtig gemerkt, er will Druck von mir nehmen, er will mir die Chance geben, mich nur aufs Spiel zu konzentrieren.

Barcelona gilt heute als stärkeres Team als im Jahr 2013. Welchen Anteil haben Sie daran?

Einen ebenso großen oder kleinen wie jeder andere im Team. Hier geht es nicht um Tennis, wo einer allein über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Hier geht es um Fußball, da sind elf Spieler auf dem Feld, plus Ersatzspieler und alle Spieler, die zum Kader gehören, Betreuer … jeder Erfolg im Fußball ist das Verdienst aller. Wer das nicht versteht, spielt besser Tennis.

Jemand traut dir etwas nicht zu? Zeig ihm, was du draufhast!

Neymar Jr., 24

Was haben Sie in den vergangenen drei Jahren gelernt? Allgemein sagt man, Sie seien enorm gereift.

Ich habe unglaublich viel gelernt. Ich bin ein besserer Fußballer geworden, taktisch, in Ballbeherrschung und Schusstechnik, in jeder Hinsicht. Und ich bin ein besserer Vater, Sohn und Freund geworden. Reifer oder nicht, das sollen andere sagen. Aber ich sage: Die Herausforderung Barcelona hat mich zu einem glücklicheren Menschen gemacht.

Ich an Ihrer Stelle hätte Angst gehabt, in Europa beschnitten zu werden. Meine Kreativität und Genialität zu verlieren, die viel mit Freiheit und Individualität zu tun hat. Wie haben Sie sichindividuelle Brillanz erhalten, auch als Teamplayer?

Es ist kein Entweder-oder. Es ist ein Sowohl-als-auch.

Hier geht es um Fußball, da sind elf Spieler am Feld, plus Ersatzspieler und alle Spieler, die zum Kader gehören, Betreuer … jeder Erfolg im Fußball ist das Verdienst von allen. Wer das nicht versteht, spielt besser Tennis.

Neymar Jr.

… aber Sie waren doch in Brasilien ein völlig anderer Spieler, als Sie hier sind, in einer anderen Rolle, mit ganz anderen Freiheiten. Sie haben 21 Jahre lang auf dem Platz getan, was Ihnen gerade eingefallen ist, ohne sich über andere Gedanken zu machen. Plötzlich mussten Sie „vernetzt“ spielen. Sie mussten Fußball doch völlig neu denken!

Nein. Das sehen Sie nicht richtig. Meine individuellen Eigenheiten habe ich nie geändert. Ich habe einfach das in meine Spielweise integriert, was ich bei Barça brauche. Also habe ich keine Fähigkeiten verloren, sondern welche dazugewonnen. Es wäre auch völlig falsch gewesen, alles Bisherige in Frage zu stellen. Barcelona wollte mich doch, weil ich der Spieler war, der ich war. Ich glaube, man ist im Leben immer besser dran, wenn man nicht in Frage stellt, was man bereits kann. Sondern Neues dazulernt.

NEYMAR IN ZAHLEN

In Brasilien haben Sie mit Ihren Tricks Ihre eigenen Mitspieler häufig ebenso überrascht wie die Gegner. Hier in Europa müssen Sie für Ihre Mitspieler berechenbar sein – aber für den Gegner unberechenbar bleiben … War das vielleicht der größte Schritt?

Guter Punkt, das ist schwierig. Wirklich schwierig. Fußball ist Improvisation, einfach weil er nicht planbar ist, weil in jedem Spielzug so viele Dinge Einfluss nehmen können. Letztlich entscheidet im Fußball die Fähigkeit zu dieser Improvisation darüber, wer gewinnt und wer verliert. Aber bei den großen Mannschaften ist es eben nicht nur die Fähigkeit des einzelnen Spielers zu improvisieren, sondern die des gesamten Teams, als Einheit.

Sie glänzen in Barcelona vor allem als Vorbereiter. Aber Sie sind Stürmer, Sie stehen doch nicht auf dem Platz, um einem anderen zu gratulieren, sondern um selbst bejubelt zu werden.

Ich sage nicht, dass ich nicht gern Tore schieße. Aber haben Sie schon mal in einem großen Spiel einem Freund ein Tor aufgelegt? Das ist eine ganz andere Art der Freude.

Es ist schwierig, ­gegen eine Mannschaft zu gewinnen, die aus Freunden besteht. Das haben wir in ­Barcelona verstanden, und das haben wir auch erreicht.

Neymar Jr., 24

Sie sprechen sehr häufig über die Beziehung der Spieler untereinander. Ist es wirklich nötig, dass man befreundet ist, um als Team zu gewinnen?

Es ist nicht unbedingt nötig, dass man befreundet ist, um auf dem Spielfeld erfolgreich zu sein. Aber Mannschaften, die das schaffen, verlieren nicht so leicht. Es ist schwierig, gegen eine Mannschaft zu gewinnen, die aus Freunden besteht. Das haben wir in Barcelona verstanden, und das haben wir auch erreicht.

Sie würden mir also raten, mit den Arbeitskollegen öfter auf ein Getränk zu gehen?

Auf jeden Fall. Aber nicht nur, um gemeinsam Erfolg zu haben. Neue Freundschaften zu schließen ist eines der schönsten Dinge der Welt. Allein zu leben ist schrecklich, nur an sich zu denken ist nicht gut. Wenn du ein glückliches Leben führen willst, dann geh auf Leute zu. Je mehr Leute du kennst, je mehr Leute dir nahestehen, je mehr Freunde du hast, desto besser.

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