1973 wird John Paul Getty entführt. Sein milliardenschwerer Grossvater will nicht zahlen (2024)

1973 wird John Paul Getty entführt. Sein milliardenschwerer Grossvater will nicht zahlen (1)

In der Nacht vom 10.Juli 1973 verschwindet in Rom ein 16-jähriger Junge. Auf der Piazza Farnese, im historischen Zentrum der Stadt, wird er um drei Uhr morgens von mehreren Männern gepackt, in ein Auto verfrachtet und entführt. Der Junge heisst John Paul Getty III., und sein Grossvater zählt zu den reichsten Menschen der Welt.

John Paul Getty der Erste, der Gründer der Firma Getty Oil, hat in den Jahrzehnten zuvor im Geschäft mit Öl Milliarden verdient. Er ist Kunstsammler, Schlossbesitzer, Ölmogul. Aber auf seinem Anwesen in England steht ein Münztelefon: Seine Gäste müssen selbst bezahlen, wenn sie Ferngespräche führen wollen. John Paul Getty der Erste hat grosse Angst, sein Geld zu verlieren.

Als den Grossvater die Nachricht vom Verschwinden seines Enkels erreicht und er hört, dass die Entführer Lösegeld fordern, winkt er ab: Das sei doch alles inszeniert. Zahlen will er nicht. Er sagt: «Ich habe 14 Enkelkinder, und wenn ich nur einen Penny Lösegeld zahle, habe ich 14 entführte Enkel.»

Was ist das für eine Familie?

Der goldene Hippie-Enkel

Der Enkel, John Paul Getty III., kommt 1956 in Los Angeles zur Welt. Seine Kindheit verbringt er in Rom, wo der Vater, auch ein John Paul Getty, einen Zweig des Getty-Öl-Imperiums leitet.

1964 trennt sich der Vater von der Mutter und verschwindet ins Ausland. Es sind die sechziger Jahre, und der Vater will lieber unter Hippies Drogen konsumieren, als sich in Rom um seine Familie zu kümmern.

Für John Paul Getty beginnt eine turbulente Zeit. Dass der Vater fort ist, macht ihm zu schaffen. Er verbringt mehr Zeit draussen in der Stadt als im Klassenzimmer, mehrfach wird er von der Schule geschmissen. Aber das ist ihm egal: Er will ohnehin lieber Künstler werden.

Und so findet John Paul Getty der Dritte, ein hübscher Junge mit kupferfarbenen Locken und Sommersprossen, genau wie sein Vater den Weg in die Hippieszene. Auf den Strassen Roms lernt er die Zwillinge Gisela und Jutta Schmidt kennen, die in Deutschland als Vertreterinnen der 68er-Bewegung bekannt wurden. In Gisela verliebt er sich. In einem Interview wird sie ihn später so beschreiben: «Er war eine anziehende Mischung aus Schüchternheit und Draufgängertum.»

Die Presse beobachtet den Enkel des bekannten Milliardärs, etwa als er an einer linken Demonstration einen Molotowco*cktail wirft. Die Zeitungen nennen ihn den «goldenen Hippie».

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Geld oder Enkel? Wie Getty ein Ohr verlor

Dann passiert es: Am 10.Juli 1973 wird John Paul Getty III. entführt. Wie man heute weiss, haben die Entführer wohl enge Verbindungen zur kalabrischen Mafia ’Ndrangheta. Sie bringen den Teenager nach Süditalien und verstecken ihn im Aspromonte in Kalabrien.

Zwei Tage später klingelt bei der Mutter in Rom das Telefon: Die Entführer fordern 17 Millionen Dollar Lösegeld. So viel Geld hat sie nicht. Ihr Ex-Mann, Sohn des Ölmoguls, war selbst nur Angestellter bei Getty Oil. Das ganze Vermögen liegt beim Grossvater.

Also ruft man dort an. Doch der Grossvater glaubt an einen Betrugsversuch seines Enkels. Ein Verdacht, der nicht unbegründet ist. Wie Gettys Freundin Gisela später sagen wird, haben sie oft darüber gesprochen, eine Entführung zu inszenieren, um an das Vermögen des milliardenschweren Grossvaters zu kommen. Mit dem Geld wollten sie eine Kommune gründen, das war ihr Hippie-Traum.

Die Entführer lassen wochenlang nicht locker. Irgendwann kommt ein Brief: «Liebe Mami, ich bin in den Händen von Entführern. Lasst nicht zu, dass ich getötet werde.» Ein anderer Brief, der eine zweite Lösegeldforderung enthält, bleibt drei Wochen lang auf der römischen Post liegen, weil die Pöstler streiken.

Es vergehen Wochen und Monate, doch der Grossvater bleibt hart. Dann, im November, wird der italienischen Tageszeitung «Il Messaggero» ein Umschlag zugeschickt. Darin liegen ein Büschel kupferfarbene Haare und ein abgeschnittenes Ohr. Die Botschaft: Wenn die Familie jetzt nicht zahlt, wird Getty zerstückelt.

Also gibt der Grossvater nach und rückt drei Millionen Dollar raus. Unter einer Bedingung: Das Geld ist ein Darlehen, das Schwiegertochter und Enkel mit Zinsen zurückzahlen müssen. Am 15.Dezember 1973 lassen die Entführer John Paul Getty frei. Sie setzen ihn auf einer Autobahnraststätte zwischen Rom und Neapel ab. Getty ist voller Blut, dreckig, abgemagert.

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Getty will alles vergessen – und stürzt ins Elend ab

Nach seiner Rückkehr will sich Getty bei seinem Grossvater bedanken, doch der geht nicht einmal ans Telefon. Getty zieht nach Kalifornien und heiratet seine Freundin Gisela. Er versucht, sich ein neues Leben aufzubauen, schreibt sich für ein Studium in chinesischer Geschichte ein und malt. Doch das, was er erlebt hat, verfolgt ihn. Er feiert Partys, greift zu Alkohol und harten Drogen. Nichts hilft.

1981 macht sein Körper nicht mehr mit: Ein co*cktail aus Alkohol und Methadon löst einen Schlaganfall aus. Sechs Wochen liegt Getty im Koma. Als er aufwacht, ist er vom Hals abwärts gelähmt. Bis zu seinem Tod im Jahr 2011 bleibt er im Rollstuhl. Der Schlaganfall schränkt ihn so stark ein, dass er nicht einmal seinen Namen sagen kann. Er muss rund um die Uhr gefüttert, gebadet und betreut werden.

Als der Grossvater stirbt, erbt Gettys Vater einen Grossteil des Vermögens. Doch die Arztrechnungen seines Sohnes will er nicht bezahlen. Ein neuer Streit bricht aus. Und die Geschichte von John Paul Getty III. endet, wie sie angefangen hat: mit Geld.

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Author: Allyn Kozey

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